Kleine Geschichte der Kantonsschule Freudenberg
Von 1833 bis 1959 gab es auf städtischem Gebiet nur die „Kantonsschule Zürich“, untergebracht zunächst in der „Alten Kantonsschule“ im Greviert Rämistrasse / Kantonsschulstrasse. Die ständig wachsende Schülerzahl führte dazu, dass 1909 die „Neue Kantonsschule“ schräg vis-à-vis gebaut und 1924 auch das Schanzenberg-Gebäude an der Schönberggasse für den Schulbetrieb genutzt wurde. Mit den Jahren mussten zahlreiche weitere Provisorien geschaffen werden.
Nach dem 2. Weltkrieg jedoch stiegen die Schülerzahlen rapid, so dass zusätzlich eine umfassende Erweiterung in Form einer Neugründung auf der anderen Seite der Limmat angestrebt wurde.
Der Kanton hatte schon 1948 das „Freudenberg“-Areal von 50’000 m2 Fläche in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Zürich Enge erworben. Den Namen hat das Areal vom bekannten Lied «Freut euch des Lebens» (Text Martin Usteri, Musik Hans Georg Nägeli), das 1806 hier entstanden war.
Mit der Ausführung des Gebäudes, das die gesamte Handelsschulabteilung der „Kantonsschule Zürich“ sowie jene Schüler des Realgymnasiums (Latein + moderne Fremdsprachen) aufnehmen sollte, die links von Zürichsee und Limmat wohnten, wurde der junge Zürcher Architekt Jacques Schader betraut. 1956 wurden in einer Volksabstimmung die notwendigen Gelder (26.1 Mio. Fr.) gesprochen. Der Schulbetrieb startete am neuen Ort nach den Sommerferien 1959 in noch nicht ganz fertiggestellten Gebäuden.
Schon bald setzte sich in Fachkreisen die Meinung durch, dass Jacques Schader mit dem Freudenberg ein ausserordentlicher Schulhausbau gelungen war. Es zählt zu den bedeutendsten Werken der schweizerischen Architektur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und steht seit 1987 unter Denkmalschutz. Schaders Grundidee bestand darin, die beiden Teilschulen auf der Hügelkuppe anzuordnen und die gemeinschaftlichen Nutzungen als Sockelbauten am Hügelfuss zu platzieren: Die Naturwissenschaften liegen auf der Südseite und die Turnhallen auf der Nordseite. Diese beiden Sockeltrakte sind seitlich gegeneinander versetzt und definieren mit ihren begehbaren Dachflächen ein geräumiges rechteckiges Plateau von 150×80 Metern Seitenlänge. In dessen Mitte ist der bestehende Hügel eingeschlossen. Architektonische Besonderheiten des Schulhauses sind die Lichtdurchflutung – in jeden Raum dringt das Licht von mindestens zwei Seiten her ein – und die Grösse der Räume. Diese sind relativ hoch und haben grosse Fenster. Dank der Erhaltung von Teilen der alten Parkanlage ist der ganze Gebäudekomplex von Bäumen umgeben.
Beide Teile, das Real- (und später auch Literar-)Gymnasium wie die kantonale Handelsschule trugen lange beide den Namen „Freudenberg“. Mit der Weiterentwicklung der Handelsschule zu einem Wirtschaftsgymnasium mit Maturitätsabschluss wurden die beiden Schuleinheiten auch bezüglich ihres Namens deutlicher abgegrenzt: Das Literar- und Realgymnasium, ein reines Langgymnasium mit sprachlicher Ausrichtung (damals Typus A, B und D), hiess ab 1979 „Kantonsschule Freudenberg“, die Handelsschule bzw. das Wirtschaftsgymnasium (Typus E) „Kantonsschule Enge“.
Weit stärker als diese Umbenennungen veränderte sich der Schulbetrieb im Freudenberg jedoch durch die Einführung der Koedukation im Jahre 1976, die mit der Kantonalisierung der zuvor städtischen „Töchterschulen“ einherging. Damit entstanden zwei gleichwertige Kantonsschulen links der Limmat (Freudenberg und Wiedikon, die ehemalige Töchterschule V) mit deutlich verschiedenen Wurzeln und Schultraditionen. Der Gegensatz zwischen des lange als „militärisch“ verschrieenen Freudenberg und des als „68-er Schule“ wahrgenommenen Wiedikon prägte das Wahlverhalten ganzer Generationen von Schülerinnen und Schüler. Sie sind heute überwunden.
Die weitere Geschichte der KS Freudenberg verlief neben einem kontinuierlichen Wachstum (384 Schülern und 63 Lehrpersonen im Sommer 1959, 611 SchülerInnen und 114 Lehrpersonen im Sommer 2008) in ruhigen Bahnen.
Besondere Erwähnung verdienen hingegen die beiden „Filialen“ in der Geschichte der Kantonsschule Freudenberg, Urdorf sowie das Liceo Artistico:
Schon Ende der 1960er Jahre zeichnete sich für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten links der Limmat erneute Raumnot ab. Da das Freudenberg-Gebäude nicht erweitert werden konnte und die Schaffung einer neuen Kantonsschule ein langwieriger politischer Prozess ist, wurde in einem Eilverfahren 1973 in Urdorf eine Filialabteilung des Freudenberg eröffnet – 1977 wurde aus dieser Filiale die selbständige Kantonsschule Limmattal, die allerdings erst Anfang der 1980er Jahre ein vollwertiges Schulgebäude erhielt.
Kaum war „Urdorf“ in die Selbständigkeit entlassen, bahnte sich ein neues Experiment an: Der Kanton Zürich und der italienische Staat dachten seit Mitte der 80er Jahre über ein gemeinsam betriebenes Kunstgymnasium nach. Mit dem Aufbau und der Führung dieses zweisprachigen „Liceo Artistico“ wurde die KS Freudenberg betraut. Sie wurde in der Villa „Dem Schönen“ am Parkring untergebracht, die der Kanton schon 1963 erworben hatte (und zwar zunächst als Abbruchobjekt, um dort den Neubau des Staatsarchivs zu realisieren.) Der Bau wurde jedoch schon bald als Annexgebäude des Freudenberg genutzt und schliesslich durch die renommierte in Zürich tätige Architektin Tilla Theus stilvoll renoviert. Seit 1989 besteht die Abteilung, die gut 200 Schülerinnen zu einer zweisprachigen Maturität führt, welche Zugang zu Schweizer und italienischen Universitäten und italienischen Kunstakademien eröffnet.
Mit dem Abschluss der Gesamtsanierung aller Gebäude zwischen 1993 und 2000 zeigt sich die Kantonsschule Freudenberg wieder in strahlender Frische und technisch auf dem neuesten Stand. Die Anlage wirkt immer noch modern und ist das wichtige architektonische Zeugnis einer in die Zukunft gerichteten und doch kritischen Geisteshaltung, die nichts von ihrer Aktualität eingebüsst hat.
Pädagogisch positionierte sich die Schule nach Schulentwicklungsprozessen im Jahre 2011– 2012 innerhalb der Zürcher Kantonsschulen als „AKROPOLIS SÜD WEST – Schule der romanischen Kultur“, was sowohl ein Festhalten an einem starken altsprachlichen Profil im Langgymnasium beinhaltete als auch die Pflege der zweisprachigen Maturität deutsch/italienisch (seit 1989) am Liceo und deutsch/französisch am Langgymnasium (seit 2010).
Im Jahr 2018 setzte am Gymnasium Freudenberg ein weiterer Strategieentwicklungsprozess ein: Die Ausrichtung auf Sprachen und den romanischen Kulturraum sollte um einen zweiten Schwerpunkt erweitert werden. Im Bildungsraum Süd-West fehlte bisher ein mathematisch-naturwissenschaftliches Profil. Im veränderten gesellschaftlichen Kontext, in dem MINT-Fächer einen immer höheren Stellenwert erhielten, ist deshalb das MN-Profil eine ideale Ergänzung im Bildungsangebot des Freudenbergs. Die ersten Klassen starten im Schuljahr 2022/23.
Zitate zur Architektur der Kantonsschule Freudenberg
„Der «Freudenberg» verkörpert so etwas wie eine materialisierte Hoffnung auf eine lichtere, offenere, gebildetere und gerechtere Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Er ist – im Umfeld seiner Entstehungszeit betrachtet – ein Bau von einer der traditionalistischen Bezugnahme und der folkloristischen Anlehnung enthobenen, gleichsam befreiten Modernität, eine architektonische Umsetzung des Wunsches, die aufgezwungene Enge und Selbstbeschränkung der Lebensverhältnisse in den vierziger Jahren endgültig wieder zu sprengen. Trotz der gleichzeitigen optimistischen Begleitmusik des einsetzenden Wirtschaftsaufschwunges darf diese architektonische Haltung nicht als blinde Fortschrittsideologie, als Erfüllungsgehilfin des Booms interpretiert werden. In ihr manifestiert sich vielmehr der Anspruch, diesen Fortschritt zu gestalten – anstatt sich ihm zu unterwerfen.“
(Freudenberg – Der Architekt Jacques Schader und die Kantonsschule in Zürich Enge. Katalog zur Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich. Hg. von Marianne Burkhalter, Michael Koch, Claude Lichtenstein, Tomaso Zanoni. Zürich 1992, S. 7.)
«’Der Freudenberg’ ist und bleibt eine der Inkunabeln des modernen Schulhausbaus in der Schweiz».
(Peter Baumgartner, Denkmalpflege des Kt. Zürich. In: Kantonsschulen Freudenberg und Enge Zürich – Gesamtsanierung 1993-2002, hg. von der Baudirektion des Kantons Zürich, Hochbauamt, Zürich 2002, S. 17.)
«Die Freudenberg-Schule ist ein Hauptwerk der Schweizer Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und sie ist eine Architekturleistung von europäischer Bedeutung.» (Lichtenstein, Claude / Schwarz, Marc. In: Freudenberg, ein Meisterwerk der europäischen Architektur 1959. Claude Lichtenstein und Marc Schwarz (Hg.), Baden 2003, S. 9.)
Für weitere Informationen:
Weblinks:
- https://www.kfr.ch
http://de.wikipedia.org/wiki/Kantonsschule_Freudenberg
http://de.wikipedia.org/wiki/Freudenberg_(Gebäude)
Gedruckte Werke:
- Walter Kronbichler: Die zürcherischen Kantonsschulen 1833–1983. Festschrift zu 150-Jahr-Feier der staatlichen Mittelschulen des Kantons Zürich. Zürich 1983.
- Freudenberg – Der Architekt Jacques Schader und die Kantonsschule in Zürich Enge. Katalog zur monografischen Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich. Hg. von Marianne Burkhalter, Michael Koch, Claude Lichtenstein, Tomaso Zanoni. Zürich 1992.
- Freudenberg 1959 – Ein Meisterwerk der europäischen Architektur – Jacques Schader. Hrsg. Claude Lichtenstein und Marc Schwarz. Incl. DVD. Baden 2002